„Wir wollen CO2 als Kohlenstoffquelle erschließen“

Ein Gespräch mit Tobias Erb über einen künstlichen Stoffwechselweg, der Kohlendioxid bindet, und die Synthetische Biologie


Ein synthetischer Stoffwechselweg, den Tobias Erb und seine Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg entwickelt haben, wandelt CO2 aus der Luft effizienter in eine organische Substanz um, als das Pflanzen in der Fotosynthese gelingt. Wir sprachen mit dem Forscher darüber, welche Bedeutung dieser Prozess für den Klimaschutz haben könnte, welche Hürden die Forscher auf dem Weg dorthin nehmen mussten und welche Perspektiven die Synthetische Biologie hat.

standard-1479806160

Tobias Erb, Leiter der Forschungsgruppe Biochemie und Synthetische Biologie des mikrobiellen Metabolismus © MPI für terrestrische Mikrobiologie

Gibt es mit dem synthetischen Stoffwechselweg, der CO2 bindet, jetzt ein wirksames Mittel den Klimawandel einzudämmen?

Zunächst einmal wollen wir die grundlegenden biologisch-chemischen Prinzipien verstehen, wie gasförmiges CO2 in organische Moleküle umgewandelt werden kann. Unsere Motivation ist primär nicht, den Klimawandel zu stoppen. Wir wollen atmosphärisches CO2 mit biologischen Methoden als Kohlenstoffquelle der Zukunft erschließen. Dass wir dabei zu einem CO2-neutralen Prozess kommen oder gar einem Verfahren, das CO2 aus der Atmosphäre entfernt und sich positiv auf das Klima auswirkt, ist ein toller Nebeneffekt.

Ich glaube jedoch, dass es viele Wege gibt, den Klimawandel aufzuhalten. Der einfachste beginnt damit, jeden Tag Energie zu sparen. Ich glaube aber auch, dass wir die Biologie der CO2-Fixierung nutzen und verbessern können. Designer-Stoffwechselwege, die pro umgesetztem CO2-Molekül zum Beispiel weniger Energie verbrauchen oder CO2 aus der Luft schneller binden, sind sicher ein interessanter Ansatz, um eine CO2-basierte Biotechnologie zu schaffen.

Wie nah dran an der Anwendung sind Sie mit dem Prozess bereits?

Unsere Arbeit ist in erster Linie immer noch reine Grundlagenforschung. Wir konnten zum ersten Mal im Reagenzglas einen grundlegenden Prozess des Lebens – die Umwandlung von CO2 in organische Substanzen neu erfinden. Wir haben damit quasi ein metabolisches Organ im Reagenzglas geschaffen. Dieses metabolische Organ in lebende Organismen zu transplantieren, ist aber eine völlig andere Herausforderung.

Worin besteht die Herausforderung bei einer solchen Transplantation in lebende Zellen?

Wir können nicht vorhersagen, wie sich unser Zyklus, der aus 17 Reaktionen besteht, in einer Zelle verhalten wird, in der 3.000 verschiedene Reaktionen gleichzeitig ablaufen. Eine erfolgreiche Transplantation wird sicher viel Zeit brauchen. Die Max-Planck-Gesellschaft bietet mir und meiner Gruppe aber die Möglichkeit, dass wir uns diesem nächsten, schwierigen Schritt widmen können. Das Ergebnis ist dabei jedoch völlig offen. Obwohl unsere Berechnungen grundsätzlich vermuten lassen, dass unser neuer Weg energieeffizienter funktionieren könnte als natürliche Stoffwechselwege in Pflanzen, müssten wir das im Experiment erst einmal nachweisen.

Worin lagen die größten Schwierigkeiten, den synthetischen Stoffwechselweg zu entwickeln?

Die größte Schwierigkeit lag nicht darin, den Stoffwechselweg am Reißbrett zu erfinden – das hat nur ein bis zwei Wochen gedauert. Dann haben wir allerdings mehr als zwei Jahre damit verbracht, den theoretisch entworfenen Zyklus experimentell umzusetzen. Wir mussten alle biologischen Einzelteile des Zyklus, die Enzyme, erst einmal finden und zusammenbringen. Dazu mussten wir unter mehr als 50 Millionen bekannten Genen und 40.000 Enzymen eine Handvoll potenzieller Kandidaten identifizieren und diese jeweils einzeln und im Zusammenspiel mit den anderen Komponenten testen.

Gab es einen Punkt, an dem Sie erst mal nicht weiterkamen?

Für lange Zeit konnten wir den Zyklus überhaupt nicht in Schwung bringen. Das Problem war, dass ein Enzym zunächst nur mit einem chemischen Hilfsmittel, genauer gesagt einer eisenhaltigen Verbindung, funktionierte, die andere Enzyme ausflocken ließ, also aus der Lösung entfernte. Wir mussten dieses Enzym erst umbauen, damit als Hilfsmittel Sauerstoff verwenden konnten, der sich mit den anderen Partnern verträgt.

Mussten Sie auf dem Weg noch mit weiteren Schwierigkeiten fertig werden?

Eine zweite, große Schwierigkeit lag darin, dass der Zyklus zu Beginn nur langsam arbeitete und sehr schnell ins Stocken kam. Dies lag daran, dass es zu vielen Fehlreaktionen kam. Wir fanden schließlich zu einer – auf den ersten Blick – ungewöhnlichen Lösung: Wir fügten einfach noch mehr Enzyme zu dem Zyklus hinzu. Die Aufgabe dieser zusätzlichen Enzyme besteht nur darin, die Fehlreaktionen innerhalb des Zyklus zu korrigieren. Bislang haben wir Biologen diesen Korrekturschleifen des Stoffwechsels offenbar zu wenig Beachtung geschenkt, aber sie scheinen auch im natürlichen Metabolismus sehr wichtig zu sein.

Der synthetische Ansatz ist in der Biologie noch relativ neu. Wie unterscheidet sich diese Herangehensweise von der in anderen biologischen Disziplinen?

Die synthetische Arbeitsweise ist für uns als Biologen immer noch ungewöhnlich. Wir sind es gewohnt, biologische Systeme auseinanderzunehmen und zu analysieren. Nicht jedoch, sie von Grunde auf neu aufzubauen. Dabei mussten wir uns langsam und in mehreren Runden vortasten, weil wir bislang kaum Regeln für das Design synthetischer Systeme kennen. Wir müssen zum Beispiel erst einmal herausfinden, welche Enzyme zusammenpassen zusammen und auf was wir beim Zusammenbau eines komplexen biologischen Systems achten müssen. Es kann etwa sein, dass die Natur zelluläre Prozesse in den Mitochondrien, den Ribosomen und anderen Organellen voneinander trennt, weil sie in unterschiedlichen Milieus stattfinden müssen und sich nicht miteinander vertragen. Wann genau man am besten biochemische Reaktionen voneinander trennt, müssen wir erst noch herausfinden.

Der synthetischen Biologie wird oft vorgeworfen, sie wolle künstliches Leben erschaffen. Zeigt Ihre Arbeit auch, dass es darum meistens nicht geht?

Wir wollen nicht Gott spielen. Eine künstliche, lebende Zelle zu schaffen liegt meiner Meinung nach in weiter Ferne. Realistischer ist es, dass wir zunächst einzelne Lebensprozesse umprogrammieren, wie wir es gerade im MaxSynBio Netzwerk der Max-Planck-Gesellschaft versuchen. Toll wäre es, wenn wir zum Beispiel einen biologischen Produktionszyklus entwickeln könnten, der sich selbst repariert und erhält. Biologische Systeme arbeiten oft viel effizienter und unter milderen Bedingungen als rein chemische. Und indem wir solche Systeme nachbauen, kommen wir wieder auf neue Ideen, weil wir dabei sehr viele Enzyme bei der Arbeit sehen.

Wo könnte die Synthetische Biologie besonders hilfreich sein?

Ich glaube, dass wir das wahre Potenzial der synthetischen Biologie noch gar nicht abschätzen können. Wir sollten uns in dieser Hinsicht vielleicht an der Chemie orientieren, die sich im 19. Jahrhundert nach und nach von einer analytischen zu einer synthetischen Disziplin entwickelt hat. Dieser Wandel hat uns den Weg zu komplett neuen Materialien, Werkstoffen, Medikamenten eröffnet. Ich bin mir sicher, dass die synthetische Biologie ähnliches schaffen kann, aber diese Entwicklung braucht Zeit und wir müssen die grundlegenden Prinzipien, wie man komplexe biologische Systeme aufbauen kann, erst einmal kennenlernen.

Welche grundlegenden Probleme sind da noch zu bewältigen?

Biologische Systeme sind grundsätzlich sehr komplex und stark miteinander verschaltet, was den Nachbau und Neubau schwierig macht. So ist ein Enzym nicht nur ein Biokatalysator, der eine chemische Reaktion vermittelt, sondern es ist auch direkt mit seinen chemischen Produkten rückgekoppelt, weil das Produkt das Enzym kontrolliert: Sobald genug von einer Substanz entstanden ist, hemmt diese den Katalysator. In diesem Sinne sind Funktion und Informationsaustausch in biologischen Systemen sehr oft eng miteinander verzahnt.

Gibt es weitere Besonderheiten biologischer Systeme?

Biologische Systeme unterscheiden sich von technischen Systemen dadurch, dass sie sich adaptieren und weiterentwickeln können. Dies bedingt aber auch, dass biologische Systeme nicht perfekt sind. Nur weil Enzyme Fehler machen und auch Nebenreaktionen katalysieren, haben sie die Chance, neue Funktionen zu entwickeln. Das ist ungefähr so, als würden Sie mit dem Fahrrad einmal zufällig in eine falsche Straße abbiegen und feststellen, dass sie dann schneller nach Hause kommen. Genauso entwickeln Enzyme auch neue, bessere Wege über Fehler.

Um Biologie synthetisch zu machen, müssen wir also verstehen, wie wir Imperfektion, Evolution und Komplexität in den Aufbau biologischer Systeme integrieren können. Dazu braucht es noch viel mehr Grundlagenforschung, um die fundamentalen Regeln zu verstehen.


Source: Max-Planck Gesellschaft, Pressemitteilung, 2016-11-22.