Bis 2050 soll unsere Gesellschaft CO2-neutral werden. Dies hat der Bundesrat für die Schweiz beschlossen. Für den Autoverkehr sowie den ganzen Energiesektor ist das zwar herausfordernd, aber möglich, zum Beispiel mit einer konsequenten Elektrifizierung und der ausschliesslichen Nutzung von CO2-neutralen Energiequellen.
Schwieriger wird die Umstellung für die chemische Industrie. Denn während sich viele andere Industriezweige vor allem mit ihrer Energieeffizienz beschäftigen müssen, kommt für die chemische Industrie noch die Frage nach den Rohstoffen dazu. «Polymere, Kunststoffe, synthetische Textilfasern und Medikamente enthalten Kohlenstoff. Irgendwoher muss dieser kommen», erklärt Marco Mazzotti, Professor für Verfahrenstechnik an der ETH Zürich. Zurzeit stammt dieser Kohlenstoff zu einem überwiegenden Teil aus Erdöl und Erdgas. Bei der Produktion, und wenn die chemischen Produkte an ihrem Lebensende verbrannt oder zersetzt werden, kommt es zur Freisetzung von CO2.
Mazzotti hat nun zusammen mit Kollegen der ETH Zürich und der Universität Utrecht verschiedene Ansätze, die Netto-CO2-Emissionen der chemischen Industrie auf null zu reduzieren, systematisch und mit konkreten Zahlen miteinander verglichen. Die Wissenschaftler nutzten dazu als Fallbeispiel die Herstellung von Methanol. Die wichtigsten Schlussfolgerungen der neuen Studie: Auch für die chemische Industrie ist das Netto-Null-Ziel erreichbar. Alle untersuchten Ansätze, das Ziel zu erreichen, haben jedoch neben Vorteilen auch Nachteile, die in unterschiedlichen Weltregionen unterschiedlich zum Tragen kommen. Und alle diese Ansätze benötigen mehr Energie (in Form von Strom) als heutige Produktionsweisen.
Bei der Produktion von Treibstoffen werden ähnliche Verfahren genutzt wie bei der dieser Studie zugrundeliegenden Herstellung von Methanol. Daher wirkt sich die Arbeit auch auf die Diskussion um künftige Luftfahrtstreibstoffe aus, wie Mazzotti betont. «Man hört immer wieder – auch von Fachleuten –, der einzige Weg für die Luftfahrt, CO2-neutral zu werden, sei die Verwendung von synthetischen Treibstoffen», sagt der ETH-Professor. «Das stimmt aber nicht.» Die Produktion von synthetischen Treibstoffen sei extrem energieintensiv. Werde dazu Strom aus Kohle- oder Gaskraftwerken benutzt, hätten synthetische Treibstoffe sogar einen grösseren CO2-Fussabdruck als fossile Treibstoffe.
Die Studie zeigt, dass es mindestens zwei valable Alternativen zu synthetischen Treibstoffen gibt: Die Luftfahrt könnte weiterhin fossile Treibstoffe verwenden, wenn das von Flugzeugen ausgestossene CO2 andernorts aus der Luft abgeschieden und gespeichert wird. Oder man könnte die Treibstoffe aus Biomasse gewinnen.
Diese Forschungsarbeit wurde vom «Swiss Competence Center for Energy Research – Efficiency of Industrial Processes» (SCCER-EIP) und vom Bundesamt für Energie gefördert.
Gabrielli P, Gazzani M, Mazzotti M: The Role of Carbon Capture and Utilization, Carbon Capture and Storage, and Biomass to Enable a Net-Zero-CO2 Emissions Chemical Industry. Industrial and Engineering Chemistry Research, 4. März 2020, doi: 10.1021/acs.iecr.9b06579
Source: ETH Zürich, Pressemitteilung, 2020-04-06.