Die Energiewende und der mit ihr anfallende CO2-arme Strom bieten die Chance, eine stromgeführte Produktion aufzubauen. Zehn Fraunhofer-Institute entwickeln und optimieren Verfahren, die diesen Strom nutzen, um wichtige Basischemikalien herzustellen. Auf der HANNOVER MESSE 2017 (24. bis 28. April, Halle 2, Stand C22) präsentiert Fraunhofer UMSICHT das Fraunhofer-Leitprojekt »Strom als Rohstoff«.
Der Edelstahlzylinder steckt in einem massiven Metallgestell, diverse Schläuche führen in ihn hinein. Mit einem Durchmesser von 20 cm wirkt er ziemlich wuchtig. Sein Innenvolumen jedoch ist überraschend klein – nicht größer als eine Getränkedose. Das hat einen Grund: Der Zylinder besitzt überaus dicke Stahlwände, die einem Druck von 150 bar trotzen können, 150-fachem Atmosphärendruck.
Der Prototyp steht bei Fraunhofer UMSICHT in Oberhausen. Er soll aus CO2 und Wasser Alkohole wie Ethanol herstellen – wichtige Basischemikalien für die Industrie. Angetrieben wird der Prozess allerdings nicht durch fossil erzeugte Prozesswärme, sondern durch grünen, regenerativ gewonnenen Strom.
Das Hochdruckverfahren ist Teil des Fraunhofer-Leitprojekts »Strom als Rohstoff«. »Spricht man über die Energiewende, denkt man zunächst an die Elektromobilität«, sagt Projektkoordinator Dr. Hartmut Pflaum. Doch ebenso wichtig sei es, den CO2-Ausstoß der Industrie zu verringern. Um etwa Chemikalien herzustellen, braucht es oft hohe Temperaturen. Entsprechend energieintensiv gerät die Produktion, einhergehend mit hohen CO2-Emissionen. In ihrem Leitprojekt arbeiten die Fraunhofer-Forscher an Verfahren, mit denen sich Chemikalien künftig klimaschonend produzieren lassen – und zwar mit grünem Strom.
Bereits heute werden rund 30 Prozent unseres Stroms regenerativ erzeugt. Allerdings schwankt die Produktion: Bei Sonnenschein und kräftigem Wind liefern Windräder und Solarzellen zum Teil mehr Strom, als akut im Netz benötigt wird. »Strombasierte Herstellungsverfahren können dazu beitragen, Angebots- und damit Preisfluktuationen im Stromnetz intelligent zu nutzen und fossil betriebene Verfahren langfristig teilweise zu ersetzen«, erläutert Dr. Pflaum.
Möglich macht das die Elektrochemie. Im Rahmen des Fraunhofer-Leitprojekts »Strom als Rohstoff« widmen sich die Fachleute der Entwicklung zweier verschiedener Prozesse: Zum einen wollen sie Wasserstoffperoxid (H2O2) – ein Desinfektions- und Bleichmittel – einfach und zuverlässig mittels Strom herstellen. Zum anderen versuchen sie, aus Elektrizität und CO2 wertvolle Basischemikalien zu erzeugen – Ethen sowie verschiedene Alkohole.
Wasserstoffperoxid gilt als umweltfreundliches Bleichmittel, es wird im großen Stil für die Papierherstellung genutzt, um den Zellstoff zu bleichen. Bislang produziert die Industrie das Mittel mit dem Anthrachinon-Verfahren. Das jedoch benötigt nicht nur organische Lösungsmittel, sondern auch jede Menge Energie. Deshalb tüfteln die Fraunhofer-Forscher an einer Alternative, die mit Strom funktioniert. Das Prinzip: Ähnlich wie bei einer Batterie enthält der Reaktor einen Minus- und einen Plus-Pol. Legt man Strom an, bilden sich Protonen, die mit Sauerstoff reagieren können. Gelingt es, optimale Strom- und Spannungswerte einzustellen und den richtigen Katalysator einzusetzen, entsteht Wasserstoffperoxid. Die Herausforderung ist, Bedingungen zu schaffen, bei denen das Wasserstoffperoxid längere Zeit stabil in einer Lösung bleibt.
Konkret entwickeln die Forscher zwei Varianten: Bei der ersten arbeiten sie an einem Reaktor, bei dem eine Membran die beiden Pole trennt. Entscheidend ist, einen Katalysator für den Minuspol zu finden, der die Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasserstoffperoxid möglichst wirkungsvoll in Gang bringt. Das zweite Verfahren basiert auf einer Diamantelektrode. Eingesetzt wird sie bereits zur Abwasser-Desinfektion. Die Fachleute versuchen sie so zu modifizieren, dass sie auch Wasserstoffperoxid herstellen kann.
Beide Varianten funktionieren, allerdings muss die Konzentration des Wasserstoffperoxids noch gesteigert werden. »Am Ende soll die Erkenntnis stehen, welches der beiden Verfahren besser läuft«, erläutert Dr. Pflaum. »Unser Ziel ist, beide Methoden in die Nähe der Praxisreife zu bringen.« Die Vision: Auf dem Firmengelände eines Zellstoffherstellers produzieren elektrochemische Reaktoren – womöglich mit dem Strom eines benachbarten Windparks – stets so viel Bleichmittel, wie der Papierhersteller gerade benötig: Wasserstoffperoxid-Produktion On-Demand.
Deutlich grundlagenorientierter gestaltet sich der andere Zweig des Leitprojekts. Hier wollen die Fachleute versuchen, aus Strom und CO2 wichtige Basischemikalien zu produzieren, die konventionell aus Erdöl gewonnen werden. Zwar gibt es CO2 im Überfluss, jedoch ist es reaktionsträge und geht nur ungern Verbindungen ein. »Damit es chemisch reagiert, müssen wir es aktivieren«, erklärt Dr. Pflaum. »Im Rahmen unseres Leitprojekts entwickeln wir drei Prototypen, die CO2 elektrochemisch zu Produkten umsetzen.«
Ethen ist ein zentrales Vorprodukt für die Herstellung des Standardkunststoffs Polyethylen. Die Fraunhofer-Experten entwickeln einen Reaktor auf Basis einer Gasdiffusionselektrode. In ihm kommt CO2 mit einem Elektrolyten in Kontakt. An der Elektrode entsteht mithilfe eines Katalysators Ethen.
Kurzkettige Alkohole wie Ethanol und Propanol dienen als Standardreaktionspartner in der organischen Chemie, kommen aber auch als Treibstoff in Frage. Mit einem neuartigen Hochdruck-Reaktor arbeiten die Wissenschaftler daran, verdichtetes CO2 chemisch zu aktivieren und mit Wasserstoff zu Alkoholmolekülen reagieren zu lassen.
Langkettige Alkohole fungieren unter anderem als Weichmacher, Tenside, und Kraftstoffadditive. Um sie klimafreundlich zu erzeugen, entwickeln die Forscher ein zweistufiges Verfahren: Zunächst erzeugen sie aus Wasser und CO2 mittels Hochtemperatur-Elektrolyse ein Synthesegas, das aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff besteht. Dieses Gas wird dann in einer Fischer-Tropsch-Synthese zu langen Alkoholmolekülen verkettet.
»Gelingt es uns, die Machbarkeit dieser Verfahren zu zeigen, sind das attraktive Alternativen für die chemische Industrie«, so Dr. Pflaum. Dann ließen sich die neuen, klimaschonenden Methoden gemeinsam mit der Industrie zu Pilotanlagen weiterentwickeln.
Fraunhofer UMSICHT ist auf der HANNOVER MESSE, vom 24. bis 28. April 2017, auf dem Gemeinschaftsstand der Fraunhofer-Gesellschaft (Halle 2, Stand C22) vertreten. Folgende Exponate werden ausgestellt:
Co-Elektrolyse-Stack
Hochtemperaturstabiler Stack aus keramischen Festoxidzellen für Power-to-Gas-Prozesse und umgekehrt.
Modell einer Hochdruckelektro-Syntheseapparatur
Ein Nachbau einer Hochdruckzelle mit integrierten Elektroden wird in einem litfassähnlichem Aufbau aus Plexiglas ausgestellt. Der zylinderförmige Aufbau hat einen Durchmesser von ca. 80 cm.
Membranmuster
Membranmuster einer kostengünstigen, protonenleitenden Membran mit geringem Fluorgehalt auf Basis alternativer Polymerklassen
(Größe 7 cm x 7 cm) für die elektrochemische H2O2-Synthese.
Simulation, mehrkriterielle Optimierung, Entscheidungsunterstützung: Anwendung Elektrosynthese
Interaktive Software zur Visualisierung und Analyse multivariater Datensätze sowie zur Entscheidungsunterstützung.
Mit ihren Leitprojekten setzt die Fraunhofer-Gesellschaft strategische Schwerpunkte, um wissenschaftliche Ideen rasch in marktfähige Produkte und konkrete Lösungen für die Industrie umzusetzen. Die beteiligten Fraunhofer-Institute bringen ihre Kompetenzen ein und binden frühzeitig Industriepartner ein. Im Leitprojekt »Strom als Rohstoff« haben sich zehn Institute zusammengeschlossen: UMSICHT (Federführung), IAP, ICT, IGB, IKTS, ISC, IST, ITWM, IVV und WKI. Das Projekt begann am 1. August 2015 und soll am 31. Juli 2018 abgeschlossen sein.
Weitere Informationen zum Fraunhofer-Leitprojekt »Strom als Rohstoff«
Source: Fraunhofer UMSICHT, Pressemitteilung, 2017-03-20.