Am 12. und 13. November haben rund 100 Teilnehmer in Berlin über die nachhaltige Verwendung von Kohlenstoff in der Industrie diskutiert. Vor zahlreichen Fachleuten berichtete das Forschungsprojekt „Carbon2Chem” über die Ergebnisse von zwei Jahren intensiver Projektarbeit. Für den Klimaschutz mit dabei waren auch Artur Runge-Metzger von der Europäischen Kommission und Wetterexperte Sven Plöger.
Ein Novemberabend in Berlin-Dahlem. Im Hörsaal des Harnack-Hauses, der Tagungsstätte der Max-Planck-Gesellschaft, herrscht geschäftiges Treiben. An diesem bedeutsamen Ort lehrten schon die Nobelpreisträger Albert Einstein und Fritz Haber. Gerade ist der erste Veranstaltungstag der „2. Konferenz zur nachhaltigen chemischen Konversion in der Industrie” zu Ende gegangen. Hinter diesem Titel verbirgt sich die Carbon2Chem-Konferenzreihe, die das Forschungsprojekt seit 2017 begleitet.
In Carbon2Chem arbeitet ein großes Konsortium aus Wirtschaft und Wissenschaft an der Umsetzung eines flexiblen Carbon Capture and Utilization (CCU)-Konzepts für die kohlenstoffbasierte Industrie. In Duisburg stellen thyssenkrupp, das Fraunhofer-Institut UMSICHT und das Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion (MPI CEC) zusammen mit anderen namhaften Unternehmen in den nächsten zehn Jahren die Weichen für eine drastische Reduzierung der CO2-Emissionen bei der Stahlherstellung. Gelingen soll dies, indem die Hüttengase künftig zur Herstellung von chemischen Grundstoffen verwendet werden. Heute werden die Abgase der Stahlherstellung im eigenen Kraftwerk thermisch genutzt. Aus dem Stoffstrom lassen sich aber höherwertige Produkte wie zum Beispiel Methanol, Polymere oder Harnstoff herstellen, die als Kraftstoff, Basis für Kunststoffe oder für Düngemittel genutzt werden können. Im September war eine große Pilotanlage am Stahlwerk in Duisburg von Bundesforschungsministerin Karliczek eingeweiht worden.
Carbon2Chem könnte man auch als Klima-Ass im Ärmel der Stahlindustrie bezeichnen – oder als ersten ernstzunehmenden Versuch, die Kohlenstoffströme zwischen etablierten, aber bisher getrennten, Industriezweigen synergetisch zu nutzen, um dem gemeinsamen Ziel der Klimaneutralität ein Stück näher zu kommen. Nach einem engagierten Grußwort von Dr. Lukas Voelkel vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Carbon2Chem als „Schaufenster in die Zukunft” bezeichnete, illustrierte Wetterexperte Sven Plöger besondere Wetterphänomene und präsentierte Fakten zum menschengemachten Klimawandel.
Zur Fähigkeit des Menschen, Klimaveränderungen wahrzunehmen, bezog Plöger deutlich Stellung: „Unsere Wettererinnerung ist absolut ungeeignet, um langfristige Klimaveränderungen zu erfassen – die Fakten sind aber eindeutig”. Im weiteren Verlauf sprach auch Dr. Artur Runge-Metzger, Abteilungsleiter bei der Europäischen Kommission über die Rolle der CCU-Technologie für die europäische Innovationsförderung und Klimapolitik. Runge-Metzger bezeichnete CCU als „einen Teil im Puzzle”, auf den wir in Zukunft schwer verzichten könnten. Das Forschungsvorhaben selber eigne sich im Übrigen sehr als Kandidat für den Innovationsfonds der EU, der in den kommenden Jahren Gestalt annehmen soll, so Runge-Metzger weiter.
Prof. Robert Schlögl, Leiter des MPI CEC, warb im Verlauf der Veranstaltung gleich mehrmals für die Nutzung der sich bietenden Synergien: „In Carbon2Chem zählt die Systemeffizienz, nicht die einzelne Prozesseffizienz”. Die Zielstellung des Forschungsprojekts sei außerdem ein vergleichsweise einfaches Optimierungsproblem: „Carbon2Chem muss in der Summe CO2 einsparen!” Prof. Görge Deerberg vom Fraunhofer UMSICHT identifizierte im Rahmen seines Vortrags die wesentlichen Einflussfaktoren für ein Gelingen von Carbon2Chem: Den Anteil erneuerbarer Energien im Energiesystem, den Strompreis und den CO2-Preis. Auch Dr. Markus Oles, Vertreter von thyssenkrupp, sprach über die Chancen und Herausforderungen, denen sich die Branche zu stellen habe: „Industrien, die besser mit volatiler Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien klarkommen, werden Wettbewerbsvorteile haben.”
Der zweite Veranstaltungstag war durch Fachvorträge aus den einzelnen Teilprojekten geprägt. Deutlich wurde, dass technische Fortschritte zum Beispiel im Bereich der Katalysatorentwicklung und Gasreinigung zwingend auf ein optimal abgestimmtes Gesamtsystem des neuen Anlagenverbunds angewiesen sind. Ein neues webbasiertes Simulationstool mit Schnittstellen zu allen Prozessschritten soll helfen diese systemischen Fragen zu klären.
Das Projekt ist auf eine Laufzeit von zehn Jahren ausgelegt. Danach sollen funktionierende Lösungen bereitstehen. Die Hälfte der ersten Förderphase von vier Jahren hat das Konsortium augenscheinlich genutzt, um die erste wichtige Meilensteine zu erreichen und zahlreiche Achtungserfolge zu erzielen. In den kommenden zwei Jahren muss sich nun zeigen, wie inhaltliche Weichenstellungen im Konsortium technisch und systemisch umgesetzt werden können und welche Anschlussfinanzierung ab 2020 zur Verfügung stehen wird. Vielleicht, so die Hoffnung der Projektbeteiligten, wird das Vorhaben in seiner Wirkung an die Leistungen der berühmten Naturwissenschaftler, die früher im Harnack-Haus gelehrt haben, anknüpfen können.
Titel: Carbon2Chem
Laufzeit: 15.03.2016 – 31.05.2020 (1. Förderphase)
Fördervolumen des Verbundes: 60 Mio. Euro
Projektpartner: AkzoNobel, BASF, Clariant, Covestro, Evonik, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT), Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Linde, Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion, Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, RWTH Aachen, Ruhr-Universität Bochum (RUB), Siemens, Technische Universität Kaiserslautern, thyssenkrupp, Volkswagen, Zentrum für Brennstoffzellentechnik (ZBT)
Source: Bundesministerium für Bildung und Forschung FONA, Pressemitteilung, 2018-11-15.