Eine deutliche Verringerung von Treibhausgas ist machbar. Zu diesem Schluss kommen Forschende der Universität Hohenheim in Stuttgart. Der Clou: Eine Kombination von Bioethanol-Produktion aus nachwachsenden Rohstoffen mit Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung. Je nach Berechnungsansatz ist so eine Reduktion von mehr als 100 Prozent gegenüber dem EU-Vergleichswert für fossile Kraftstoffe wahrscheinlich – und damit sogar eine negative CO2-Bilanz. Zum Einsatz kommt dabei das Riesengras Miscanthus, das so innerhalb des europäischen EU-Verbundprojektes GRACE erfolgreich seine Nutzbarkeit für diese Form der Biokraftstoffproduktion bewiesen hat.
Eine wichtige Maßnahme zur Abschwächung des Klimawandels ist, weniger Treibhausgas auszustoßen. Vor allem der Verkehrssektor kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten, beispielsweise indem aus fossilem Erdöl gewonnenes Benzin durch Bioethanol aus nachwachsenden Rohstoffen ersetzt wird.
Wie diese bereits etablierte Technologie noch weiter optimiert werden kann, untersuchen derzeit Forschende innerhalb des Verbundprojektes „Growing Advanced industrial Crops on Marginal Lands for Biorefineries” (GRACE) in einem neuen Ansatz: „Wenn man die Produktion von Bioethanol mit Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung kombiniert, könnte man dazu beitragen Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre zu entfernen“, ist Projektkoordinator Dr. Andreas Kiesel vom Fachgebiet Nachwachsende Rohstoffe in der Bioökonomie der Universität Hohenheim überzeugt.
Zusammen mit kroatischen Forschenden wird dafür derzeit in Kroatien ein neuartiges Bioraffinerie-Projekt entwickelt: Eine Bioethanol-Anlage soll in eine bestehende Ölraffinerie des Öl- und Gasunternehmens INA in Sisak integriert werden. Ziel ist es, das bei der Bioethanol-Produktion entstehende CO2 zu komprimieren, in die vorhandenen Hohlräume der ausgebeuteten Erdöllagerstätten zu injizieren und dort für mehrere hundert Jahre zu speichern.
Nach Ansicht von Dr. Jan Lask, der dieses Teilprojekt an der Universität Hohenheim betreut, bietet der Standort zwei große Vorteile: „Zum einen liegt die Raffinerie in unmittelbarer Nähe zu ausgebeuteten Erdöllagerstätten, die für die CO2-Speicherung eingesetzt werden können und laut Expertenmeinung für die nächsten 1.000 Jahre und auch darüber hinaus langfristig stabil sind.“
Zum anderen befinden sich Schätzungen zufolge in der Gespannschaft Sisak-Moslavina rund 60.000 Hektar ungenutzter landwirtschaftlicher Flächen, die zum Teil zur Produktion der für die Bioethanol-Herstellung notwendigen Biomasse verwendet werden können. Große Teile dieser Flächen wurden in der Vergangenheit landwirtschaftlich genutzt, aber während des Jugoslawien-Krieges in den 1990er Jahren aufgegeben.
Das besondere Augenmerk der Forschenden gilt Miscanthus x giganteus. Dieses ursprünglich aus Südostasien stammende Riesengras wird bis zu drei Meter hoch und ist ausgesprochen genügsam. „Miscanthus kann auf sogenannten marginalen Flächen kultiviert werden, die für einen profitablen Anbau anderer Kulturen nicht geeignet sind. So kann ungenutztes Land wieder bewirtschaftet werden, ohne dabei in Konkurrenz mit Nahrungs- und Futterpflanzen oder anderweitigen Produkten zu treten“, erklärt Dr. Lask.
Einmal etabliert, senkt zudem Miscanthus als Dauerkultur nicht nur das Erosionsrisiko und stabilisiert den Boden, es unterdrückt auch wirksam das Wachstum von Unkräutern. Denn in dem betreffenden Gebiet breitet sich derzeit der Bastard-Indigo (Amorpha fruticosa) stark aus, eine aus Nordamerika stammende invasive Pflanze. „Der großflächige Anbau von Miscanthus könnte eine Option sein, um die Ausbreitung dieser Art zu verringern“, sagt Dr. Lask.
Nach Berechnungen der Forschenden kann die Bioethanol-Produktion aus Miscanthus in Kombination mit der Kohlenstoffspeicherung erheblich zur Verringerung der Treibhausgasemissionen im europäischen Verkehrssektor beitragen: „Je nach Bilanzierungsansatz für die biologische Kohlenstoffspeicherung ist ein Reduktionspotenzial von mehr als 100 Prozent gegenüber dem EU-Vergleichswert für fossile Kraftstoffe wahrscheinlich“, fasst Dr. Lask die Ergebnisse zusammen.
Bei aller Begeisterung für die Möglichkeiten der Bioökonomie untersuchen die Partner aber auch, ob es negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt geben könnte und in welcher Intensität der Anbau von Biomasse sinnvoll und risikofrei ist: Negativ wäre es beispielsweise, wenn durch die verstärkte Biomasseproduktion andere Nutzungen verdrängt würden. Im besten Falle entstehen dadurch jedoch in den seit dem Krieg unterbevölkerten Regionen Kroatiens neue Arbeitsplätze.
Im europäischen Bioökonomie-Projekt „Growing Advanced industrial Crops on Marginal Lands for Biorefineries (GRACE)“ führt die Universität Hohenheim 22 Projektpartner aus Wissenschaft, Landwirtschaft und Industrie aus ganz Europa zusammen. Darunter auch die Wageningen University and Research, die ebenso wie die Universität Hohenheim Teil der European Bioeconomy University (EBU) ist. Ziele: Kooperationen zwischen Biomasse-Produzenten und weiterverarbeitenden Unternehmen in Europa fördern, lückenlose Wertschöpfungsketten aufzeigen und den Biomasseanbau mit neuen Sorten, innovativen Anbaumethoden und der Erschließung bislang ungenutzter Flächen attraktiver machen.
GRACE startete am 1. Juni 2017 und läuft bis 31. Dezember 2022. Gefördert wird das Projekt mit 12,3 Millionen Euro durch die privat-öffentliche Forschungskooperation (Public-Private Partnership) „Bio-based Industries Joint Undertaking (BBI JU)“ zwischen der Europäischen Union und dem Bio-based Industries Consortium (BIC), einem Zusammenschluss aus Großunternehmen der Bioökonomie. Weitere 2,7 Millionen Euro bringen die privaten Projektpartner ein.
Pressemitteilung zu Projektstart mit Gesamt-Übersicht über das Verbund-Projekt GRACE
Bioökonomie ist das Leitthema der Universität Hohenheim in Forschung und Lehre – übergreifend über alle drei Fakultäten. Um diesen Schwerpunkt strategisch weiterzuentwickeln, hat die Universität Hohenheim Prof. Dr. Iris Lewandowski zum Chief Bioeconomy Officer (CBO) berufen. Das Thema gezielt und nachhaltig an der Universität umzusetzen, ist Aufgabe des Forschungszentrums für Bioökonomie.
International vernetzt ist die Universität Hohenheim unter anderem über die European Bioeconomy University (EBU), in der sie sich mit fünf anderen in der Bioökonomie führenden Universitäten Europas zusammengeschlossen hat.
Dr. Jan Lask
Fachgebiet Nachwachsende Rohstoffe in der Bioökonomie,
T 0711 459 24486
E [email protected]
Dr. Andreas Kiesel
Fachgebiet Nachwachsende Rohstoffe in der Bioökonomie,
T 0711 459 22379
E [email protected]
Prof. Dr. Iris Lewandowski
Leiterin des Fachgebiets Nachwachsende Rohstoffe in der Bioökonomie,
T 0711 459 22221
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Source:
Universität Hohenheim, Pressemitteilung, 2022-04-06.